Gewöhnlicher Aufenthalt im Sinne der EuErbVO

Der Begriff "Gewöhnlicher Aufenthalt" im Sinne der Europäischen Erbrechtsverordung (EuErbVO) ist gesetzlich nicht definiert. Allerdings ergeben sich aus den Erwägungsgründen (EG) zur EuErbVO und den Gesetzgebungsmaterialen einige Hinweise. Unstreitig kann eine Person nur einen gewöhnlichen Aufenthalt haben (EuGH, RS C‑80/19). Unstreitig ist ferner, dass zur Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts eine Gesamtbeurteilung der Lebensumstände des Erblassers in den Jahren vor seinem Tod und im Zeitpunkt seines Todes vorzunehmen ist (EuGH, RS C‑80/19). Dabei sollen alle relevanten Tatsachen berücksichtigt werden, insbesondere

  • die Dauer und die Regelmäßigkeit des Aufenthalts des Erblassers in dem betreffenden Staat sowie die damit zusammenhängenden Umstände und Gründe (EuGH, RS C‑80/19);
  • Lebensmittelpunkt des Erblassers in familiärer und sozialer Hinsicht (EuGH, RS C‑80/19);
  • Staatsangehörigkeit oder Lage der wesentlichen Vermögensgegenstände (EuGH, RS C‑80/19);
  • Sprachkenntnisse sowie familiäre und soziale Bindungen;
  • nach Außen getretener Wille an einem Ort zu bleiben (Bleibewille).

Der so bestimmte gewöhnliche Aufenthalt sollte eine „besonders enge und feste Bindung zu dem betreffenden Staat“ erkennen lassen (EuGH, RS C‑80/19).

Vorausgesetzt wird eine gewisse tatsächliche Anwesenheit (EuGH C-523/07 Slg 2009 I-02805, Rn. 37). Eine Mindestaufenthaltszeit ist aber keine Bedingung (Ratsdokument Nr. 15247/10 S. 2 f.). Unerheblich sind der Wohnsitz im Sinne des Ordnungsrechts (z.B. Bundesmeldegesetz) oder der steuerrechtliche Wohnsitz (z.B. § 8 AO). 

Ob ein Bleibewille (anminums manendi) Voraussetzung für die einen gewönlichen Aufenthalt ist oder nur zu berücksichtigen ist, ist strittig (gegen Bleibewille als Voraussetzung: OLG Frankfurt BeckRS 2020, 27072 Rn. 26 f., 34, 39, 43; OLG Brandenburg NJW-RR 2023, 1052 Rn. 16; OLG München, 22.06.2022, 31 AR 73/22; OLG Schleswig BeckRS 2024, 16784 Rn. 28; Grüneberg/Thorn Rn. 6; aA OLG Karlsruhe, Beschluss vom 22.07.2024, Az.: 4 W 50/24 (Wx); wohl auch MüKoBGB/Dutta Art. 4 Rn. 6). 

Ein Wechsel des Aufenthaltsorts allein aus beruflichen und wirtschaftlichen Gründen - auch für eine längere Zeit-  muss für die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts in dem betreffenden Staat nicht ausreichen, wenn der Erblasser eine enge und feste Bindung zum Herkunftsstaat aufrechterhalten hat (EG. 24 in S. 2 und 3). Der Ort der Berufsausübung muss daher nicht zwingend dem gewöhnlichen Aufenthalt entsprechen.

Hat der Erblasser in mehreren Staaten gelebt ohne sich in einem Staat für längere Zeit niederzulassen kann die Staatsangehörigkeit des Erblassers oder die Belegenheit der wesentlichen Vermögensgegenstände den gewöhnlichen Aufenthalt bestimmen (vgl. EG 24 S. 4 und S. 5).